Niederländische Aufklärung? Europäische Aufklärung? Am aufgeklärten Diskurs über Theologie und Philosophie in niederländischen Rezensionszeitschriften lässt sich der deutsche Einfluss ablesen.
Lange wurde davon ausgegangen, dass die Aufklärung in den Niederlanden vor allem von Frankreich aus beeinflusst worden wäre. Im 20. Jahrhundert schärfte sich aber der Blick für deren Eigenständigkeit. Gleichzeitig setzte sich die Erkenntnis durch, dass sie mit der in den deutschen Landen und in England Gemeinsamkeiten aufwies, der deutsche Einfluss ist aber bisher unzulänglich erforscht.
Die vorliegende Untersuchung zur Einwirkung deutschen Aufklärungsdenkens auf die Niederlande will diese Lücke zu schließen helfen. Sie fokussiert auf die Rezeption der deutschen protestantischen Aufklärungstheologie, der sogenannten Neologie, sowie der Philosophie der Zeit, namentlich des Kantianismus, in niederländischen allgemein kulturellen Rezensionszeitschriften; sie rekonstruiert die aufgeklärte Debatte in den einschlägigen Bereichen.
Zu deren besserem Verständnis ist jedoch nicht nur eine inhaltliche Analyse erforderlich, sondern auch eine formal-technische, weshalb ausführlich eingegangen wird auf die Rezensionspraxis in den näher berücksichtigten Zeitschriften, der Nederlandsche bzw. der Vaderlandsche Bibliotheek (1774-1811), der Schouwburg van in- en uitlandsche Letter- en Huishoudkunde (1805-1810) sowie dem Recensent, ook der Recensenten (1806-1850), sowie auf die Geistigkeit im 18. Jahrhundert schlechthin. So lässt sich ein tiefgreifender Konflikt über den Stellenwert des Christentums in der Gesellschaft.erkennen.
Zwei Gruppen von Aufklärern standen sich in den Niederlanden, wie übrigens auch in den deutschen Landen, gegenüber: zum einen die sogenannten ›Supranaturalisten‹, die die Bibel weiterhin als Eckstein der Gesellschaft ansahen und die Erkenntnisse der historisch- kritischen Bibelwissenschaft erst nach und nach in der Theologie zur Geltung kommen lassen wollten, und zum andern die ›Rationalisten‹ (die Neologen und die Kantianer), die dem Christentum nicht länger eine Sonderstellung in der Gesellschaft einräumten, sondern vielmehr Philosophie und Theologie als gleichrangig einstuften.
Die ›Supranaturalisten‹ bildeten in den Niederlanden, wie in den deutschen Landen auch, eindeutig die Mehrheit. Die augenfälligen Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der protestantischen Aufklärungstheologie in beiden Ländern bestätigen einmal mehr, dass Deutschland und die Niederlande um 1800 noch keine klar getrennten Kulturbereiche waren Erst von der Frühromantik und dem deutschen Idealismus an gingen sie eigene Wege.