In der Frühen Neuzeit gehörten Erasmus' Werke, und namentlich auch die Friedensschriften
Dulce bellum inexpertis (1515) und Querela pacis (1517), geradezu zum Kanon. Die beiden Friedensschriften wurden bereits wenige Jahre nach ihrem Erscheinen ins Deutsche übersetzt und büßten bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts nichts an Anziehungskraft und Aktualität ein.
Erstaunlich ist, daß ihre deutsche Rezeption in der Frühen Neuzeit bislang kaum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung war. Die vorliegende Untersuchung analysiert erstmals alle überlieferten deutschen Übersetzungen der beiden Friedensschriften. Sie werden in ihrem jeweiligen politisch-historischen Kontext dargestellt, während an ausgewählten Beispielen in Umrissen die produktive Rezeption aufgezeigt wird.
Die vier deutschen Übersetzungen des Bellum-Adagiums, das gleichsam die Vorlage für die einige Jahre später erschienene Querela pacis bildet, stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Sie stammen von Erasmus' Schweizer Zeitgenossen Ulrich Varnbüler (1519), von einem Unbekannten, der sich hinter dem Pseudonym Fridericus Cornelius von Friedensberg verbirgt (1607), von dem jungen Studenten Caspar Meußler (1659), der sich vor dem Dänisch-Schwedischen Krieg in Sicherheit bringen mußte, und von dem aus Wismar gebürtigen Präzeptor und Griechischlehrer Christinas von Schweden Joachim Gerdes (1666).
Anhand einer detaillierten Analyse werden nicht nur die übersetzungstechnischen Aspekte der einzelnen Bellum- Übersetzungen ausführlich beleuchtet, sondern auch die gängigen Auffassungen zum Umgang mit Erasmus' Gedankengut in den deutschen Landen im 16. und 17. Jahrhundert nuanciert und differenziert. Aufgezeigt wird unter anderem wie Erasmus' Friedensdenken in den konfessionellen Auseinandersetzungen vereinnahmt und instrumentalisiert wird. Das umfangreiche Schlußkapitel befaßt sich mit den sechs deutschen Querela-Übersetzungen, die u.a. von Erasmus' Zeitgenossen Leo Jud und Georg Spalatin stammen.
So wird nicht nur die Tragweite Erasmischen Gedankenguts in deutschen Hof- und Gelehrtenkreisen des 16. und 17. Jahrhunderts eruiert, auch die damaligen Auffassungen über den Nutzen und die Notwendigkeit von Übersetzungen sowie der Beitrag der damaligen Übersetzungstätigkeit überhaupt zur Herausbildung des Deutschen als Literatursprache kommen zur Geltung. Daneben wird die produktive Rezeption in Ansätzen erschlossen: An zwei (Sprech)Stücken, von Johann Rist bzw. von Diederich von dem Werder aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird dargetan, wie Erasmus' Friedensdenken in deutschsprachige Werke Eingang fand und so in einem neuen Kontext weiterwirkte.
Der breite kulturhistorische Ansatz wird der Eigenständigkeit der unterschiedlichen deutschen Übersetzungen und der produktiven Weiterverwertungen von Erasmus' Friedensschriften durchaus gerecht. Alles in allem leistet die Untersuchung einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der Verbreitung erasmianischer Geistigkeit im deutschen Sprachraum.