Spielt eure Rolle, aber wundert euch nicht, wenn am Schluß der Beifall von der falschen Seite kommt:
GEORG BERNARDT SJ: DRAMEN III

»JOVIANUS« 1623 / 1642

Ein Spiel vom Sturz des Mächtigen und vom Bauern als König.
Lateinisch und deutsch.
Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von FIDEL RÄDLE (GLB 7)
Nach »Theophilus« (aufgeführt 1621, ediert 1984: GLB 5) und »Tundalus« (1622, 1985: GLB 6) und vor dem »Thomas Becket« (1626, Edition folgt demnächst) erscheint hier das dritte der insgesamt vier erhaltenen Stücke Georg Bernardts (1595þ1660), der bis vor kurzem als Dramatiker unbekannt war, dem jedoch nach Jakob Bidermann und mit Georg Stengel ein hervorragender Platz in der Geschichte des zu seiner Zeit blühenden bayerischen Jesuitentheaters zukommt.
     Zugrunde liegt diesem Drama ein im Orient und im lateinischen Westen weitverbreiteter Erzählstoff vom tiefen   Fall des stolzen, sich Gott ebenbürtig wähnenden Herrschers (Jovianus), der durch einen listigen Streich des Himmels auf schmerzliche Weise die Nichtigkeit von Macht und Reichtum und die Täuschbarkeit der Menschen erfahren muß: während er badet, entwendet ihm sein Schutzengel seine königlichen Gewänder und spielt selber an seiner Stelle die Rolle des Herrschers. Dem »nackten« König will es danach nicht gelingen, ohne die eitlen Attribute seiner von Fortuna abhängigen Macht seine Identität zu beweisen. Er wird von seinem eigenen Hof wie ein Bettler abgewiesen und von der Welt verstoßen. Erst als sein Stolz völlig gebrochen ist und die Verzweiflung ihn heimsucht, offenbart sich der Schutzengel und gibt dem nun »Kurierten« seine Rolle zurück.
     Die eigentliche Pointe des Stücks besteht darin, daß im ersten Teil die ebenfalls weit verbreitete Geschichte vom »Eintagsfürsten« bzw. vom Bauern als König für einen Tag (»Rusticus imperans«) als Binnenkomödie zum Ergötzen des Herrschers Jovianus gespielt wird. Der Bauer Hegio wird in völlig betrunkenem Zustand von den Höflingen aufgegriffen, zum Spaß als König eingekleidet und in den Palast versetzt. Dort aufgewacht, beginnt er langsam, von seiner Umgebung ermuntert, an seine Identität als König zu glauben und diese Rolle aktiv zu spielen.
     Bei dem folgenden Bankett im Palast, bei dem er sich allerdings nicht wie ein König zu benehmen weiß (die Schilderung seiner grobianischen Manieren beim Mahl ist ein Kabinettstückchen), betrinkt er sich erneut bis zur Bewußtlosigkeit, was den Höflingen die Möglichkeit gibt, ihn wieder zu derobieren und in seine armselige reale Lage als Bauer zurückzuversetzen. Das allmähliche Erwachen Hegios in der Wirklichkeit und seine Einsicht, daß er »sich selbst nur gestohlen« worden war und nun wieder seine angestammte Rolle zu spielen hat, ist mit großer Kunst, mit Witz und Tiefsinn in Szene gesetzt. Jovianus als belustigter Zuschauer dieser Komödie ahnt jedoch nicht, daß ihm hier sein eigenes Schicksal gespiegelt vorgeführt wird.
     Es sind die großen Themen des barocken Lebensgefühls und der Literatur des 17. Jahrhunderts (vgl. Hollonius, Weise, Masen, Calderon), die in diesem höchst vitalen Stück zur Debatte stehen: es geht um die Eitelkeit (»vanitas«) der irdischen Verhältnisse, um Schein und Sein, um das Leben als Traum und um die dubiose Schauspiel- und Rollenqualität des menschlichen Lebens. Der »Jovianus«, der 1623 an der Universität Ingolstadt und noch einmal 1642 in Dillingen an der Donau aufgeführt wurde, ist ein denkwürdiges literarisches Dokument aus der Epoche des Dreißigjährigen Krieges.