Ein Bischof gehorcht seinem Gewissen – und ein König will das überhaupt nicht begreifen:
GEORG BERNARDT SJ: DRAMEN IV
»THOMAS BECKET« 1626
Sanctus Thomas Archiepiscopus Cantuariensis Martyr.
Lateinisch und deutsch.
Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von FIDEL RÄDLE (GLB 8)
Das früheste erhaltene lateinische Drama über den 1170 im Dom von
Canterbury ermordeten Erzbischof Thomas Becket, dessen Geschichte noch im 20.
Jahrhundert von bedeutenden Autoren wie Th. S. Eliot (1935) und Jean Anouilh
(1959) auf die Bühne gebracht wurde.
Der Verfasser, ein bis vor kurzem als Dramatiker unbekannter Münchner
Jesuit (1595þ1660), schildert in bilderreicher barocker Sprache und mit Ironie
und Humor den Konflikt zwischen dem englischen König und seinem zu
erzbischöflicher Würde aufgestiegenen Freund, der in seinem neuen
Amt mit unerwarteter Entschiedenheit die Interessen der Kirche bzw. des
Papstes gegen die Ansprüche der weltlichen Macht verteidigt und für
seine Standhaftigkeit schließlich mit dem Leben bezahlt.
Mit der Edition dieses Stücks liegt das komplette dramatische Oeuvre
Georg Bernardts vor (bereits 1984 erschien »Theophilus Cilix. Ein Faust-
Drama der Jesuiten«, 1985 »Tundalus Hiberniae Miles Redivivus.
Eine Jenseitsvision aus dem Dreißigjährigen Krieg« und 2006
»Jovianus. Ein Spiel vom Sturz des Mächtigen und vom Bauern als
König«).
Bernardt ist, nach Jakob Bidermann und mit Georg Stengel, ein herausragender
Repräsentant der bayerischen Theaterkultur, die noch in den Anfängen
des Dreißigjährigen Krieges ungestört blühte. Nach dem
Erfolg seiner 1621 bis 1623 in Ingolstadt aufgeführten Dramen wurde er an
das Jesuitenkollegium Konstanz gerufen, wo man zur feierlichen Auszeichnung
einer Bischofsweihe die Inszenierung eines neuen Schauspiels plante.
Das Schicksal des heiligen Märtyrers Thomas Becket war ein für diesen
Anlaß sehr passender Stoff. Das überaus reichhaltige historische
Material zur Person Thomas Beckets mit ihren durchaus ambivalenten
Charakterzügen ist bei Bernardt souverän selektiv bearbeitet und
ausschließlich auf den tragischen Interessenkonflikt zwischen dem
König und dem Erzbischof mit der Konsequenz ihrer zerbrechenden
Freundschaft konzentriert.
Mit dieser starken Personalisierung des Konflikts
(auf Kosten seiner komplizierten objektiven politischen Bedingungen)
erhält das Stück eine menschlich anrührende psychologische
Dimension. Natürlich behandelt Bernardt den Fall exemplarisch im
affirmativen katholischen Sinn, doch verzichtet er gänzlich auf
konfessionelle Polemik und versteht es, durch die stets präsenten Mittel
der Komik (Sprachwitz, Ironie, Parodie) die bisweilen exzessive
Brutalität des tragischen Geschehens zu relativieren. Höchst
originell ist seine Erfindung einer nicht a priori diskreditierten, sondern
durch Witz und Eleganz Sympathie gewinnenden mephistophelischen Person, welche
die Handlung auf ihr fatales Ende zulenkt.